Der Rundgang – die Anatomie einer Ruine.

Wir laden ein zur Ortsbesichtigung: Es gibt Menschen, die sagen, hier ist nicht mehr viel zu sehen. Sie irren! Sehen Sie noch einmal hin. Treten Sie ein!

Der Berggrat, auf dem die Burg errichtet wurde, beginnt über dem Dorf Undingen als Wiese, aus der einzelne Felsen ragen. Noch heute ein spektakulärer Aussichtspunkt, der weit in die Schwäbische Alb hineinschauen lässt. Manchmal sieht man von hier aus die Schweizer Alpen. Ein fast zugewachsener Pfad führt entlang der Kammhöhe in den Wald hinein.

Gleich nach dem Waldrand fällt links eine kreisrunde Grube auf, die wohl von Menschenhand gemacht ist. Der Burgenspezialist Michael Kienzle von der Universität Tübingen hat zahlreiche solcher Gruben im Umfeld von Burgen entdeckt, wozu sie dienten, weiß bis heute niemand.  Etwa 70 Meter vor der Ruine ist links eine weitere ungefähr quadratische Grube im Boden, deren Kantenlänge etwa acht Meter beträgt.

Wie bei anderen Geländeformen rund um den Hohengenkingen kann die Frage nach einer Zugehörigkeit zur mittelalterlichen Adelsburg heute noch nicht beantwortet werden.

Wir erreichen den ersten Burggraben. Er quert den Bergkamm und ist auf zirka 15 m von einem vorgelagerten Wall begleitet.

Hohen-Genkingen Mutmaßliches Burgbild

Zwei Pfade kann man an dieser Stelle erkennen. Der eine, kaum noch zu finden, biegt kurz vor dem Burggraben linkerhand ab, der andere führt geradeaus weiter. Diese Situation hat der hauptberufliche Kirchenmaler und nebenberufliche Burgenforscher Konrad Albert Koch um das Jahr 1900 herum in seiner Rekonstruktion der Burg illustriert. Er nahm damals an, dass beide Wege historischen Ursprungs sind und ehemals zu Toren in der Ringmauer führten.

Während das rechte Tor den Hauptzugang zur Burg bewachte, vermutete Koch, dass ein kleineres Tor zur Linken existierte. 80 Jahre später beschäftigte sich wieder ein Burgenforscher, Günther Schmitt, mit dem Hohengenkingen. In seinem 1991 erschienenen Burgenführer Schwäbische Alb geht er davon aus, dass lediglich das linke der beiden Tore existierte.

Die Geländeform, die um 1900 ähnlich ausgesehen haben dürfte wie heute, hat möglicherweise mit der mittelalterlichen Zugangssituation nicht mehr allzu viel zu tun. Es ist denkbar, dass nach der Aufgabe der Burg Wall und Teile der Grabenanlage einplaniert wurden.

Wir folgen weiter dem Pfad, gehen am Burggraben vorbei. Links das erste erkennbare Bauwerk der eigentlichen Burg, wohl die Reste eines Vorwerks. Was genau hier stand, wissen wir nicht, ein erster Turm, eine vorspringende Mauer? Eine bis 80 Zentimeter hohe Mauer mit Eckquaderung ist hier erhalten. Hier, zwischen Burggraben und Beginn des Vorwerks, verortet Schmitt das Burgtor, dessen exakte Position aber heute oberflächlich nicht mehr klar erkennbar ist.

Skizze Rundgang

Folgt man linkerhand dem fast verschwundenen Pfad gelangt man auf eine Art Galerie, eine langgezogene ebene Fläche. Unterhalb davon befindet sich das größte intakte Stück Mauer, das der Burg erhalten geblieben ist, der südliche Rundschluss der Zwingermauer.

Das könnte sich jedoch bald ändern, da die Zwingermauer akut einsturzgefährdet ist.

Ein Zwinger ist eine der Ringmauer vorgelagerte Befestigungsmauer, die die Erstürmung der Burg erschweren sollte. Eine gestaffelte Befestigung macht im Verteidigungsfall die Annäherung an die Burg gefährlicher. Während der Angreifer noch mit der Einnahme des Zwingers beschäftigt ist, kann er bereits von weiter oben aus, den Mauern der Hauptburg, bekämpft werden.

Unter uns, unter der heute noch imposanten Zwingermauer, fällt der Hang steil ab. Über uns, zur Rechten, immer noch mehrere Meter hoch, der Kern der Burg. Vermutlich handelt es sich um einen klassischen Wohnturm, der Donjon (1 auf dem Grundriss).

In den letzten Jahren hat auch seine Bausubstanz sehr gelitten. Schmitt, der sich bisher am intensivsten mit dem Hohengenkingen auseinandergesetzt hat, vermutet, dass man ursprünglich den Donjon vom hinteren Bereich des westlichen Zwingers betreten hat (12).

Ein Wohnturm ist, wie der Name sagt, zugleich Wohn- und Wehrgebäude und bildet das wichtigste Bauelement im hochmittelalterlichen Burgenbau (ca. 1000-1250). Im spätmittelalterlichen Burgenbau (ca. 1250-1500) wird die Turmburg als Hauptbautyp durch die größere Ringmauerburg abgelöst, bei der Wohn- und Wehrfunktion baulich getrennt sind. Gewohnt wird im komfortablen Palas in geschützter Lage, während die Verteidigung vom die Feindseite überragenden Bergfried aus übernommen wird.

Am Ende des westlichen Zwingers kehren wir um, denn hier wird das Terrain des Steilhangs zu schwierig. Wir kehren auf unseren Hauptpfad zurück, zum Burggraben und erklettern über vier Meter die Reste des Donjon.

Das Hauptbauwerk der Burg hat einen rechteckigen Grundriss, ca. 14 x 12 Meter und weist im Südwesten abgeschrägte Ecken auf. Das Kleinquadermauerwerk ist dort bis zu einem Meter hoch erhalten, ist ansonsten aber unter Schutt verborgen. Wir können uns den Wohnturm als mehrstöckiges Massivgebäude vorstellen, die Gesamthöhe kann um 20 Meter betragen haben. Durch die kräftigen Außenmauern boten die in Holzgerüstbauweise errichteten Wohngeschosse nur beschränkt Platz. In der Regel führte ein Hocheingang direkt bis in das erste oder zweite Obergeschoss, wo der herrschaftliche Wohnbereich begann, während die unteren Räume des Wohnturms zum Beispiel als Lagerräume genutzt wurden.

Steigt man vom Donjon nach Norden ab, erreicht man erneut eine ebene Fläche, etwa 20 x 20 Meter groß, der von Schmitt als „Vorburg“ (3) bezeichnet wird. Zum Donjon hin könnte ansteigender Schutt die Lage eines ehemaligen Gebäudes anzeigen. Nach Nordosten belegen der hier hoch aufragende abgespitzte Fels und Ziegelfunde weitere Innenbebauung.

Der Fels, der nach Osten hin bis zu fünf Meter hoch aufragt, geht sowohl nach Süden als auch nach Westen in Bruchsteinmauern über, auch sie sind in ihrem Bestand gefährdet. In einer Vorburg hat sich üblicherweise das Wirtschaftsleben einer Burg abgespielt. Hier standen Wirtschaftsgebäude und Einrichtungen zur Versorgung der Bewohner und Besucher: Werkstätten, Ställe, Speicher, aber auch Gesindehäuser, Backstuben etc. Was davon auf dem Hohengenkingen existierte, wissen wir nicht.

Das Vorburgareal bricht nach Westen zehn Meter tief zu einer weiteren ebenen Fläche ab: hier dürften sich im Boden noch Reste einer Ummauerung verbergen, die sich weiter südlich an die westliche Zwingermauer anschließen. Möglicherweise liegt hier, nach Norden und Süden durch Felsrippen eingerahmt, eine abgegangene Unterburg (10).

Steigt man über die beiden Terrassierungen wieder die zirka 20 Meter zum Donjon hinauf, kann man, nach Norden hin, mit gutem Schuhwerk!, auf dem schmalen Grat einer langgezogenen Umfassungsmauer wandeln, unter sich die Doppelterrassierungen von Vorburg und Unterburg.

 

Wir verlassen den Donjon wieder in Richtung östlicher Burggraben und wenden uns auf dem Wanderweg nun nach links. Bald endet rechts von uns die südöstliche Zwingermauer, wie es scheint, mit einem kleinen Knick nach Nordwesten. Befand sich hier ein weiteres Tor? Wir treten, zunächst noch begleitet von der links über uns aufragenden Mauer, welche die „Vorburg“ (3) einschließt, auf einen ca. 23 mal 27 Meter großen, nicht erkennbar ummauerten Platz, der durch den äußeren Graben (11) und nach Nordwesten und Südosten durch die Hangkante begrenzt wird. Auch bei diesem Areal handelt es sich vermutlich um eine „Vorburg“, allerdings fehlen bislang jegliche Nachweise von Steinbauten und einer nach Osten abschließenden Ummauerung. Möglich, dass hier Bauwerke aus Holz standen.

Der Wanderweg verlässt die Burg nach Nordosten, passiert zur Rechten einen zweiten, tief eingeschnittenen Burggraben, wechselt auf die westliche Flanke des Bergkammes, von wo aus er in Serpentinen Richtung Genkingen bergab führt.

Der Bergkamm, auf dem der Hohengenkingen thront, setzt sich weitere 300 Meter in Richtung Norden fort und endet an zwei 15 Meter steil abfallenden Felstürmen. Im rechten von ihnen öffnet sich ein schmaler Spalt, die zwölf Meter lange Hohengenkingen-Höhle, im Volksmund „Burgkeller“ genannt. Bei Grabungen im Jahr 1956 wurden hier Überreste vorgeschichtlicher Keramik gefunden.

Alle Zahlen in Klammern beziehen sich auf den Burgplan von Günther Schmitt (1991)

Literatur:

Eugen Nägele, Hohengenkingen. Blätter des Schwäbischen Albvereins 2, 1890, 66.

Eugen Nägele, Hohen-Genkingen. Blätter des Schwäbischen Albvereins 19, 1907, 339 f. (mit Plan und rekonstruierter Ansicht von Konrad A. Koch).

Günter Schmitt – Burgenführer Schwäbische Alb 4. Alb Mitte-Nord. Wandern und Entdecken zwischen Aichelberg und Reutlingen

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