Erste Schritte-Aktuelles
Die Reise hat begonnen. An dieser Stelle berichten wir fortlaufend über unsere Arbeit, neue Erkenntnisse, Fortschritte, Sackgassen und hoffentlich nicht zu oft! – Rückschritte.
3D-Modell Mauerturm/© Sören Frommer
12. Juli 2024
Von Ägypten auf die Alb! – Materialanalyse der Glasnuppe
© Yvonne Mühleis, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
Die kleine grünbläuliche Glasnuppe, im Vorjahr auf einem Maulwurfshaufen gefunden, wird in Weimar von Oliver Mecking untersucht, dem Laborleiter des Landesdenkmalamtes in Thüringen. Mit einem Laser bohrt Mecking in das Glas ein Loch, es ist 0,12 Millimeter dünn, doppelt so dick wie ein menschliches Haar. Der Laser verdampft dabei das Glas zu Gas, das vermischt mit Helium und Argon durch ein Massenspektrometer geschossen wird, einem LA-ICP-MS, das die Atome von 60 verschiedenen Elementen zählen kann.
Das Ergebnis überrascht alle Fachleute: Der gemessene Eisengehalt liegt unter einem Prozent. Selten hat Mecking ein so reines Glas vermessen. Der Sand, den die Glasmacher verwendeten, war sorgfältigst ausgewählt. Die Bewohner der heute vergessenen Burg konnten sich nicht nur teures Glas leisten, sondern sogar das allerteuerste. Natrium- und Magnesiumwerte sind ungewöhnlich hoch: Die Asche, die zur Herstellung des Glases verwandt wurde, stammt nicht, wie eigentlich erwartet, von heimischen Buchen, sondern aus dem Orient.
Womit sich, wie so oft bei diesem Projekt, ein neues Problem ergibt. Denn im Mittelalter hatte die Republik Venedig ein Monopol auf die begehrte Asche, die im Orient aus Halophyten, salzliebenden Pflanzen, gewonnen wurde. Hochwertiges Glas war eine wichtige Einnahmequelle für den Stadtstaat. Es ist aber nicht bekannt, dass die Venezianer Nuppenbecher hergestellt hätten, denn die sind bisher nur in Süddeutschland gefunden worden. Ist also die kleine Nuppe von Hohengenkingen ein später Beweis eines Schmuggels von Glasrohstoffen an Venedig vorbei? Welche Glashütte hat das Glas geschmolzen? Nur die besten Handwerker ihrer Zeit, sagt Laborleiter Mecking, seien hierzulande in der Lage gewesen, mit den Rohstoffen aus dem Orient umzugehen.
Ende März 2024
Zwei Erdkuhlen und ein Verdacht – das Gelände-Survey, Teil 1
© Thomas Bernhard
Fünf Studenten und zwei Studentinnen der Mittelalterarchäologie der Universität Tübingen ersteigen Ende März den Berg. Eine Woche lang werden sie das Burgumfeld untersuchen – angeleitet vom Archäologen Sören Frommer. Eine Lehrveranstaltung der Universität Tübingen. Sie teilen das Gelände in Sektoren auf, von A bis H. Wie schon im Vorjahr hat Frommer für die Forschungswoche den Übergang von Winter zu Frühjahr gewählt, weil jetzt der Boden am nacktesten ist, kein Schnee mehr liegt und noch kein Gras und Unterholz wächst. Als sie am ersten Tag die Bergspitze erreichen, finden sie sie jedoch größtenteils schneebedeckt. Zum Glück taut der aber bald ab.
© Thomas Bernhard
In zwei Teams laufen sie das Gelände ab. Das eine sucht mit einer Sonde nach Metall. Wo immer das Gerät piepst, wird die GPS-Position gemessen. Gegraben wird nicht. Sie wollen feststellen, wo wieviel Metall im Boden verborgen ist, um so erste Hinweise auf mögliche frühere Nutzungen zu bekommen. Noch ist die Burg ein einziges Rätsel. Noch kann keinem einzigen Bauwerk, keinem Areal eine Funktion zugewiesen werden. Wo wurde gewohnt, wo gekocht, wo gefeiert? Gab es eine Schmiede, Stallungen für die Pferde, Unterkünfte für das Personal, wo lag die Kapelle, die es vermutlich bei der Größe der Anlage gegeben hat, wo der Brunnen – denn immer noch ist eines der größten logistischen Rätsel: Von wo bekamen die Burgbewohner ihr Wasser?
Die zweite Arbeitsgruppe, eingeteilt in Dreierteams, durchkämmt Schulter an Schulter die Sektoren und sucht Scherben. Alle Funde messen sie ein. Bei Dachziegeln nur Funde, größer als ein Handy, denn zu viele Dachziegel bedecken das Areal. Mögliche Häufungen von Keramik oder deren Abwesenheit können Aufschlüsse geben. Die Arbeit kommt naturgemäß nur langsam voran – weil das Ganze eine Lehrveranstaltung ist und das Gelände zum Teil extrem steil.
Eine seltsame Beobachtung macht das Keramikteam auf dem Berggrat Richtung Süden: Als sie den Burggraben erreichen, hören die Funde plötzlich auf, um hundert Meter weiter, außerhalb der bisher bekannten Burg, wieder aufzutauchen. Auf dem Grat, kurz bevor er hundert Meter ins Tal hinabstürzt, gibt es zwei auffällige runde Vertiefungen im Boden. Ihre Funktion hatte schon länger Rätsel aufgegeben. Die Arbeitsthese nach einer Woche: möglicherweise Überreste von Gebäuden, die einem Burgweiler angehört hatten.
Burgen dienten nicht nur der Verteidigung, sie waren fast immer auch Wirtschaftsbetriebe, oft die wichtigsten Wirtschaftsstandorte in ihren ländlichen Regionen. Burgen unterhielten Mühlen, Werkstätten und waren oft auch landwirtschaftliche Betriebe – haben die Studenten erste Hinweise auf einen Burgbauern gefunden? Im nächsten Jahr soll dieser Frage in einem weiteren Survey nachgegangen werden.
Anfang März 2024
Die Forstarbeiter um Andreas Hipp schaffen das schier Unmögliche. Sie haben ein technisches System ausgetüftelt, wie sie die gestürzten Baumriesen abtransportieren können, ohne die Burg zu beschädigen – und ohne kostenintensiv einen Helikopter anmieten zu müssen. Sie erfinden eine Abfolge an Seilzügen aus Kabeln und Umlenkrollen, gestützt von noch stehenden Bäumen, über die das Sturmholz nach oben weggezogen wird. Fliegende Bäume!
Es gibt kaum Schleifspuren im Boden, jenem Boden, der den Forschern alles ist, das Archiv aus Erde und Lehm, in dem die Geheimnisse vieler Jahrhunderte verborgen sind.
Große Erleichterung!
Ende Januar 2024
© Wolfgang Bauer
Das Landesdenkmalamt, das um unsere große Not weiß, hilft bei der Aufarbeitung der Sturmschäden. Frommer & Co. haben die fünf aufwändigsten Baumkrater untersucht, es gibt aber noch drei Dutzend weitere. 250 Bäume, manche so alt, dass sie zu Lebzeiten von Goethe junge Triebe waren, sind gefallen. Für drei Tage ziehen die Grabungstechnikerinnen Fiona Vernon und Steffi Brose auf den Berg und suchen die Wurzelteller und aufgerissenen Löcher ab. Auch sie stoßen auf eine erstaunliche Fülle an Keramik, neu: Knochen. Unterhalb der obersten Terrasse, auf der die Fachleute mittlerweile den Palas vermuten, das Wohngebäude der Adeligen, finden sie unter anderen den Schenkelknochen einer Kuh. Der erste kleine Einblick in die Küche der früheren Burgbewohner.
10. Januar 2024
Die Aussicht des Türmers – eine erste Sichtfeldanalyse.
© Thomas Krüger
Eine große Hilfe bei der Beantwortung dieser Frage kommt in diesem Winter vom freiberuflichen Geografen Thomas Krüger, der neu zum Projekt dazugestoßen ist.
Er erstellt – ehrenamtlich! – mit Hilfe von digitalen Karten eine Sichtfeldanalyse für den Hohengenkingen und die anderen beiden Burgen des Genkinger Systems. Die Türmer der Burg, so das Ergebnis, konnten drei Bergpässe auf einmal einsehen.
Das Erstaunliche: Die umliegenden Dörfer, die in den Talsenken lagen, sahen sie nicht. Sogar das nächste Nachbardorf Genkingen, das der Burg seinen Namen verlieh, nur zwei Kilometer südlich, blieb dem Türmer verborgen – mit Ausnahme einer kurzen Gasse am Ortsrand, der „Burgstraße“. Bis Ende der Sechziger Jahre waren dort noch die Überreste einer viereckigen Wallanlage zu sehen. In einer Zeit, als der Denkmalschutz noch weniger galt, baggerte man sie für den Bau eines Mehrfamilienhauses einfach weg, zusammen mit den Resten massiver Grundmauern. Vermutlich stand hier die Ortsburg. Eine weitere stand auf einem Bergsporn außerhalb. Sie alle gehörten vermutlich einer Familie, sie alle hatten Sichtkontakt zueinander.
Richtung Norden bestand Sichtkontakt zu mindestens vier Burgen, im Westen zu mindestens dreien: im Mittelalter eine Landschaft aus aufragenden Türmen. Schriftliche Quellen legen nahe, dass viele Familien, die diese Burgen bewohnten, untereinander verwandt waren. Dass sie über ihre Türme Nachrichten austauschten, ist anzunehmen. An mindestens zwei weiteren wurden Bruchstücke von Signalhörnern gefunden. Sie konnten aber nicht dazu gedient haben, sich von Burg zu Burg zu verständigen, die Distanzen waren zu groß – das belegen die Messungen von Felix Rösch.
Bliebe noch Feuer und Rauch als Kommunikationsmittel. Im Alpenraum war die Methode verbreitet. Die Systeme der Kreidfeuer, wie man sie nannte – Kreid vom lateinischen quiritare, was „um Hilfe schreien“ bedeutet – querten an mehreren Stellen den Gebirgszug von Bayern bis nach Italien. Die Sarazenen, die die italienischen Küsten mit Wehrtürmen versahen, konnten mit Rauchsignalen, so heißt es, innerhalb eines halben Tages die gesamte Küstenbevölkerung vor Piratenüberfällen warnen. Noch früher setzten die Legionäre des römischen Limes für Signale Fackeln und Feuer ein.
An der Universität Bamberg hat der Archäologe Rainer Schreg zu den Signalhörnern geforscht. Er glaubt, dass die Hörner nicht nur zu Warnrufen gebraucht wurden, sondern eine Vielzahl an Funktionen hatten, weil man sich von ihnen immer noch ein wenig das Göttliche des Rolandshorns versprach. „Vielleicht war ihr Bedeutungsgehalt wichtiger als ihr Ton.“ Man nahm sie mit auf die profane Jagd, kommunizierte innerhalb der Burg mit ihnen, setzte sie womöglich auch als Wetterhorn ein, um Gewitter zu vertreiben, Hagel und Sturm, Dämonen und böse Geister. In Westfalen war dies noch bis ins 19. Jahrhundert Brauch.
Das Horn, das Leben retten konnte, mit dem man in der Not um Hilfe rief, im Unwetter dem Heulen des Windes etwas entgegensetzen konnte, war, so mutmaßt Schreg, wohl auch ein Symbol der Macht. Ein Statussymbol. Ein Engel, besagt das Rolandslied, habe das Horn dem Kaiser gegeben, der es dann an Roland weitergab. Eine Insignie irdischer Autorität. Wurde das Horn des Hohengenkingen als Zeichen von Herrschaft getragen?
Herrschaft in der Höhe – aber wer herrschte auf dieser Burg? Wer baute sich hier ein ganzes System an Burgen, um dann doch wieder unterzugehen?
Januar 2024
Ein besonderer Fund – die Sirene Gottes
© Ilja Frenzel / © Sören Frommer
Noch eine Scherbe wird kurz nach dem Sturm in einem der Wurzellöcher gefunden, eine aus Keramik, grau, seltsam bestrichen, leicht gekrümmt, kein Bruchstück eines Gefäßes, etwas ganz anderes. Sören Frommer betrachtet sie von allen Seiten, dann ist er sich sicher: Nach Jahrhunderten, in denen der Hohengenkingen verstummt war, wird dieser Fund der Burg ihren alten Klang zurückgeben.
Die Stimmen versagten ihnen.
Furcht breitete sich aus.
Die Steinhäuser zitterten.
Die Erde bebte.
Am Ende einer langen Schlacht, als alle anderen um ihn herum gefallen waren, so erzählt eines der berühmtesten mittelalterlichen Vers-Epen, das Rolandslied, blies der Held mit letzter Kraft in sein Horn, um Hilfe zu rufen. Die Hilfe kam. Das christliche Heer des Franken Karl des Großen hörte den Ruf und schlug die Armee der muslimischen Sarazenen. So verzweifelt hatte Held Roland das Horn geblasen, dass seine Halsschlagader barst. Der Held starb, seine Legende lebte weiter, und das Mittelalter hatte eine Reliquie mehr: das Rolandshorn. Ein Horn, dass göttlichen Zorn entfesselte.
Das Horn, das angeblich dem Heer Karls des Großen zum Sieg verhalf, dem man Wunderkräfte zusprach, gemacht aus dem Ende eines Elefantenstoßzahns, wurde quer durch Westeuropa in Töpferwerkstätten kopiert. Zunächst offenbar, das haben archäologische Grabungen ergeben, konzentrierte sich die Produktion der Keramikhörner in der Umgebung Aachens. Pilger, die zur Krönungsstätte deutscher Könige zogen, zum Aachener Dom, trugen diese Hörner mit sich. Noch heute wird dort im Domschatz das angebliche Original des Rolandshorns verwahrt.
Archäologen finden Bruchstücke der Kopien aus Keramik vor allem auf Burgen. Der Siegeszug des legendären Rolandshorns hatte es im Mittelalter sogar bis hierher geschafft, in die Mauern des Hohengenkingen, dieser heute abgelegenen Burg.
Die Maße der Scherbe – 7,3 Zentimeter lang, 4 Zentimeter breit. 7 bis 10 Millimeter dick. Archäologe Frommer schätzt, dass das Fragment zu einem 30 Zentimeter langen Exemplar gehört haben müsste. Vermutlich war es leicht gebogen. Das Bruchstück eines zweiten Signalhorns wird im Frühjahr 2024 unterhalb der westlichen Ringmauer gefunden.
Michael Kienzle von der Universität Tübingen, ebenfalls beteiligt am Projekt, hat ein vermutlich modellgleiches Signalhorn von einer Keramikwerkstatt nachbauen lassen. Der Ton: erinnert an den Schrei einer heiseren Eule. Tief und hohl, aber nicht sonderlich laut. Eine nur ferne Erinnerung an das durchdringende Rolandshorn. Wozu dienten diese Keramikhörner also wirklich?
Als einer der ersten Forscher hat der Archäologe Felix Rösch die Probe aufs Exempel gemacht. Über zwei Jahre lang hat er zusammen mit mehreren Studenten das Turmsystem der Göttinger Landwehr im südlichen Niedersachsen untersucht. Im 14. Jahrhundert, zeitgleich zum Burgleben auf dem schwäbischen Hohengenkingen, hatten die Göttinger Stadtherren ein Netzwerk aus 21 Türmen in ihr weiteres Umland gebaut. Sie bezahlten Turmwächter, die die Stadt frühzeitig vor anrückenden Feinden warnen sollten.
Im Zentrum dieses Frühwarnsystem stand der Turm der Göttinger Stadtkirche, der mit 61 Metern alle anderen Türme überragte. Die kleine Arbeitsgruppe von Rösch wollte klären, wie die Turmwächter miteinander kommunizierten. Archäo-Akustik heißt dieser Forschungsansatz, Geräusche-Archäologie, eine Idee aus den USA, die erst langsam auch in Fachkreisen in Deutschland wahrgenommen wird.
Die Suche nach dem Klang der Vergangenheit ist eine aufwendige, denn der Lärm der Gegenwart ist oft zu erdrückend. In Göttingen ist es besonders das ständige Rauschen der A7, die quer durch das ehemalige Frühwarnsystem führt. Die Arbeitsgruppe von Rösch musste alle neueren Bauwerke aus ihren Rechenmodellen entfernen, Oberflächenhindernisse wie neu aufgeforstete Wälder, neue Siedlungen, Fabriken und Industriekomplexe. Sie nahmen dazu alte Flurkarten des 18. Jahrhunderts zu Hilfe, digitalisierten sie in langen Nächten, fütterten damit handelsübliche Lärmsimulations-Programme, mit denen sonst zum Beispiel die Gutachter bei Nachbarschaftsstreitigkeiten störende Geräuschpegel messen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Schallachsen und Schallausbreitung kalkulieren.
Vier Arten von Hörnern, die die Turmwächter des Mittelalters benutzt haben könnten, testete Rösch sodann auf ihre Reichweiten. Ein professioneller Hornbläser spielte sie auf offenem Feld, möglichst gleichförmig, ein Oszilloskop maß. Die Ergebnisse:
- ein Jägerhorn aus Messing: 13,24 Kilometer.
- ein Kuhhorn: 7,39 Kilometer.
- ein gebogenes Keramikhorn: 2,71 Kilometer.
Warum aber finden sich so viele Keramikhörner auf Burgen, wenn sie doch selbst dem Kuhhorn unterlegen waren? Eine offene Frage. Die Hörner von Kühen sind in den seltensten Fällen erhalten, weil sie schlicht verrotteten. Gleiches gilt für die Messinghörner – sie wurden in der Zwischenzeit häufig eingeschmolzen. Außerdem konnten sie sich nur sehr betuchte Turmherren leisten. Keramikhörner überdauerten die Zeit, wenn auch nur in Bruchstücken. Selten werden größere Teile gefunden.
Mit wem, fragen sich jetzt die Erforscher der schwäbischen Burg, hätte die Burgbesatzung Signale austauschen können? Der Hohengenkingen ist auf einem 861 Meter hohen Gipfel gebaut, der sich über das gesamte Umland erhebt. Die Forschungen der letzten Monate haben ergeben, dass der Hauptturm der Burg bis zu 30 Meter hoch gewesen sein könnte. Bei schönem Wetter sieht man von hier aus sogar die Schweizer Alpen.
27.Oktober 2023
Die große Not ruft nach hohem Besuch: Die Landesministerin Nicola Razavi (CDU) besieht sich Ende Oktober das Desaster. Sie ist zuständig für Landesentwicklung und Wohnen, aber auch für den Denkmalschutz. Viel von der Burg bekommt auch sie nicht zu sehen, denn immer noch blockiert den Zugang ein Wall aus gestürzten Bäumen. Trotzdem zeigt sie sich beeindruckt. Finanziell fördern kann das Land das Projekt nicht, denn auch das Land leidet unter leeren Kassen.
4.Oktober 2023
Neue Mauern, neue Rätsel – Untersuchung der Sturmschäden
In fast allen Arealen der Burg hat der Sturm Krater gerissen. An vielen Wurzelballen hängen Keramikscherben, manche scheinen sogar hauptsächlich aus Keramikscherben zu bestehen. Der Herbstregen droht die aufgerissenen Spuren bald wegzuspülen. Deshalb beeilen sich Sören Frommer, Shane Cavlovic und Steffi Brose (Landesdenkmalamt), die Schäden und Funde zu dokumentieren. Drei Tage arbeiten sie auf der Burg, die Kosten trägt die Gemeinde.
Noch einmal vermessen sie die westliche Ringmauer, von der größere Teile in den Hang gebrochen sind. Was von ihr noch steht, ist akut einsturzgefährdet. Noch einmal wird fotografiert. Shane Cavlovic untersucht mit einem Spachtel den Schutt.
Frommers erste Gedanken zu den Ergebnissen:
„Wir haben Fundmaterial hinter der Mauer, das recht einheitlich ins 13. Jahrhundert gehören dürfte. Der Kontext ist durch den inzwischen gefallenen Baum bewegt, liegt aber so tief, dass es ziemlich wahrscheinlich ist, dass dadurch eine bauzeitliche Datierung repräsentiert ist. Letztlich kann ich die Ringmauer einmal vorsichtig in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts stellen. Noch wichtiger ist, dass die Mauer wohl nicht die erste Burgenphase repräsentiert! Die vielen frühen Ofenkacheln sprechen klar dafür, dass hier vorher schon „geburgt“ wurde. Konkret: Wohnfunktion am Ort des Hauptturms ist in der vorangehenden Burgenphase sehr wahrscheinlich (Donjon!).“
Es gab Öfen auf der Burg. An mehreren Stellen sind bereits Ofenkacheln gefunden worden, noch keine größeren Stücke, so dass es bisher noch unklar ist, wie sie ausgesehen haben.
Auf dem kleinen Gipfelplateau, das einst der Hauptturm der Burg war – einer der mächtigsten Türme in der Region, wie unsere Forschungen in den letzten Monaten zeigten – haben die Wurzeln zweier gestürzter Bäume bisher nicht sichtbare Mauern freigegeben. Niemand hatte davor geahnt, dass an diesen Stellen im Untergrund noch Mauern erhalten sind. Und welche Mauern! Erstaunlich gut erhalten.
Auf einer Fläche von anderthalb mal einem Meter ist jetzt die gemauerte Innenseite der Südwest-Ecke zu erkennen. 30 Zentimeter tief. Fein geschichtetes Mauerwerk, aus schmalen Kalksteinen. Der Mörtel noch so kompakt, als sei er gestern angerührt worden. Die Steine sind allesamt orange verfärbt, ein weiterer Hinweis darauf, dass der Turm abgebrannt ist.
In dieser Mauer verbaut finden wir zum zweiten Mal ein Stück Holzkohle in einem Stück verbrannten Mörtel. Wieder schicken wir es zur Altersanalyse ins Labor nach Mannheim. Die Untersuchung des ersten Holzkohlefundes hatte ergeben, dass das Holz im 3./4. Jahrhundert gewachsen ist – Spätantike. Bis dahin gab es keinen Hinweis darauf, dass der Berg schon so früh besiedelt war. Das Laborergebnis für den zweiten Fund:
mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 %:
1165-1254
mit einer Wahrscheinlichkeit von 68 %:
1179-1222
Das ist das Ergebnis, dass die Fachleute erwartet hatten. Das Rätsel um den „Rätselstein“, wie er nun heißt, und um die Spätantike bleibt vorläufig ungeklärt.
Auf der genau gegenüberliegenden Ecke des großen Turmes sind ebenfalls Mauern zum Vorschein gekommen. Wo bisher nur Laub, Gras und Humus war, haben sich jetzt gleich drei Mauern unterschiedlicher Bauphasen aufgetan. Eine von ihnen, die zum Teil noch im Wurzelballen hängt, wurde nicht mit weißem Kalkmörtel, sondern mit braunem Lehmmörtel verbaut. „Das verstehe ich noch nicht“, sagt Frommer. „Diese Mauer scheint nichts mit dem Turmbau zu tun gehabt zu haben.“ Sie ist definitiv die älteste von allen, doch birgt sie keine Keramikscherben, über die man ihr Alter annähernd bestimmen könnte. Die Geschichte der vergessenen Burg wird mit jedem neuen Blick in die Erde komplizierter.
Herbst 2023
Der gesperrte Berg – Lebensgefahr!
Ein Sommersturm ist über unseren Gipfel hinweggefegt. Einer von so vielen, die seit einigen Jahren mit immer stärkerer Gewalt über Mitteleuropa ziehen. Als kleiner Wirbel über der Arktis hatte er begonnen, wurde über den britischen Inseln immer mächtiger, erfasste die Normandie, das Saarland, dann auch die Kuppen der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg. Mit einer Orkanstärke von 144 Stundenkilometern stürzte der Sturm über das Land.
Was als Zeitreise ins Mittelalter gedacht war, wird in diesem Herbst zum Lehrstück in Sachen Gegenwart und Klimawandel. Auf dem Berg liegen Bäume zerfetzt über Bäumen, hunderte von ihnen. In mehreren Lagen sind sie ineinander verkeilt, meterdick und doch zersplittert binnen Sekunden.
Die Burg, die wir erforschen wollen, ist begraben unter einem gigantischen Mikado aus Stämmen und Ästen, das in den nächsten Monaten der Förster Andreas Hipp, seine Holzarbeiter und die staatlichen Denkmalschützer zu lösen versuchen: Wie können sie die gestürzten Baumriesen beseitigen, ohne die Mauern ganz zu zerstören?
Beschädigt ist das größte bisher noch erhaltene Stück Bauwerk, die westliche Ringmauer, zwei Meter hoch, 14 Meter lang. Eine Buche hat große Teile davon einstürzen lassen. Glück im Unglück: Erst im Frühjahr hatte sie das Archäologieteam um Sören Frommer bis ins letzte Detail dokumentiert (siehe das 3-D-Modell).
Auch andere Mauern wurden beschädigt. Halbe Keramiktöpfe liegen in den aufgerissenen Kratern. Vor allem aber ist das Gelände nur noch unter Lebensgefahr zu betreten.
„Was sollen wir jetzt tun?“, fragt Förster Andreas Hipp den Bürgermeister von Sonnenbühl Tage nach dem Sturm. Die Ruine ist im Gemeindebesitz, der Wald ist es auch. Es gibt keine Notfonds, keine Hilfen von Land oder Bund. Doch trotzdem entscheidet sich die klamme Kommune, die Kraftanstrengung auf sich zu nehmen.
Es folgen nicht unzählige, aber Dutzende Termine. Der Leiter der Mittelalter-Archäologie im Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Jonathan Scheschkewitz, besieht sich den Schaden. Förster Hipp berät mit seinen Mitarbeitern, dem Kreisforstamt, holt Angebote externer Forstfirmen ein, die alle ebenfalls den Schaden vor Ort begutachten und Empfehlungen abgeben. Zwischenzeitlich wird sogar erwogen, das Sturmholz mit einem Helikopter abtransportieren zu lassen.
Der Berg ist derweil abgesperrt, rote Flatterbänder warnen vor dem Betreten.
Sommer 2023
Sturm!
Der 24. August. Ein Tag, der alle unsere Projektpläne hinwegfegen wird. Schwere Böen von über 140 Stundenkilometern rasen über die Kuppen der Schwäbischen Alb. Es ist nicht der erste schwere Sturm dieses Sommers. Die Stürme werden von Jahr zu Jahr heftiger, auch eine Folge des Klimawandels. Der Sturm vom 24. August wird sich für den fast hundertjährigen Baumbestand der Burganlage verheerend auswirken. Er entwurzelt zirka 80 Prozent der Bäume. Das größte Stück Mauer, die östliche Ringmauer, die wir im Frühjahr mit großem Aufwand dokumentierten, ohnehin schon perforiert von einer Buche, bricht in Teilen aus. Jahrhundertealtes Mauerwerk, lange vor der Entdeckung Amerikas gebaut, bricht in Sekunden zusammen. Ein heller Schuttfächer aus mittelalterlichem Mörtel und behauenen Steinen zieht sich jetzt in den Hang hinunter. Es ist zu befürchten, dass in den nächsten Monaten die noch intakten Teile der Mauern durch Regen und Winde ebenfalls zum Einsturz gebracht werden.
Auf dem höchsten Punkt der Burg, dem Turm, sind gleich mehrere Bäume ausgerissen. Dort haben sie neue Mauern zum Vorschein gebracht. Fast überall, wo die Wurzelteller den Untergrund aufgerissen haben, kommt eine erhebliche Dichte an roten Dachziegeln und Keramik zum Vorschein. Wir bergen halbe Vorratstöpfe aus dem Spätmittelalter, Bruchstücke von Ofenkacheln – zum ersten Mal haben wir den Beweis, dass die Burg an mehreren Stellen beheizbar war. Es findet sich, offen in einem Wurzelteller liegend, die Keramik eines, vermutlich, mittelalterlichen Signalhorns.
In dieser großen Not finanziert die Gemeinde Sonnenbühl eine kurze Rettungsgrabung. Für einen Tag rücken wieder Dr. Frommer, Shane Cavlovic und die Grabungsarbeiterin Stefanie Brose vom Landesdenkmalamt Tübingen an. Sie sichern die Befunde, untersuchen die Mauern, die sich neu aufgetan haben. Es ergeben sich erste Hinweise auf drei, vielleicht sogar vier Bauphasen. Diese Mauern bergen mehr Geschichte als von den Forschern vermutet. Sie vermessen und fotografieren erneut. Doch schaffen sie nur fünf Baumausbrüche von über 20.
Noch nie waren wir so dringend auf Spenden angewiesen wie jetzt.
Frühjahr/Sommer 2023
Feuer! – eine erste Forschungswoche.
Es ist Ende März 2023. Eine Zwischenzeit. Der Winter ist vergangen, es liegt auf dem Berg kein Schnee mehr – und doch ist der Frühling noch nicht da. Es wächst noch kein Grün und spießt noch kein Unterholz. Der Boden des Bergwaldes ist so nackt wie sonst zu keiner anderen Jahreszeit. Bedeckt nur vom alten, flachgedrückten Laub. Ideale Bedingungen für das geplante Forschungsprojekt.
Die Nacht ist an diesem Montag noch nicht lange dem Tage gewichen, da steigt eine kleine Gruppe aus zwei freien Archäologen und zwei Studenten des Tübinger Instituts für Mittelalterarchäologie den schmalen Pfad zur Burg hinauf. Sie tragen große Alukisten mit Ausrüstung, darin ein Tachymeter, verschiedene Messstangen, eine Sammlung Holzpflöcke, Spraydosen, eine Kameraausrüstung. Oben angekommen, wählen sie die einzige ebene Fläche auf dem Bergrücken, um ihr Zelt aufzuschlagen. Klappstühle werden aufgestellt und Getränkekisten. Ihr Basislager für den Hohengenkingen. Eine Woche lang wollen sie bleiben.
Was sie nicht dabeihaben: den Spaten. Auch in diesem Jahr wird immer noch nicht gegraben. Immer noch nähern wir uns der Burg behutsam an. Wir berühren auch jetzt noch nicht den Untergrund, aber wir kratzen schon daran!
Dank der Kooperation mit der Biberacher Fachhochschule ist der Burgberg genau vermessen. Bei allem, was wir künftig auf dem Areal tun, wissen wir jetzt exakt, wo wir sind.
Der Berg ist vermessen, unsere Matrix, aber die Burg ist es noch nicht. Noch wissen wir nicht, was genau auf der Oberfläche von der Burg erhalten ist. Noch nie wurden die Mauern vermessen. Nie wurde genau geprüft, wo Mauern enden, sie abzweigen, was womöglich gar keine Mauer ist. Der Hohengenkingen ist kein Hohenschwanstein. Seine Geheimnisse sind schwerer zu lesen.
Eines der wichtigsten Arbeitsmittel, dass die Archäologen auf den Berg getragen haben, ist ein handelsüblicher Laubbläser. Niklas Reicherter, 29, eigentlich Sportstudent, aber regelmäßig auf archäologischen Grabungen mit dabei, bläst der Gruppe den Weg frei. Er entfernt das Laub von Jahrzehnten. Hier und da kratzt er das Moos auf den Steinen ab. Erstaunlich, was bereits mit diesen einfachsten Mittel zutage kommen wird.
© Thomas Bernhardt
Dr. Sören Frommer, freier Archäologie, Burgenspezialist, von Anfang unseres Projektes mit dabei, leitet in diesen Tagen die Gruppe fachlich an. Er hat sich gefragt, wo am besten anzufangen sei. Er wählt schließlich die große Zwingermauer. Sie umgrenzt den Süden der Burg. Sie ist 21 Meter lang und bis zu zwei Meter hoch. Damit ist sie der Teil der Burg, der am besten erhalten ist. Das Problem: Sie ist auch am schwersten zugänglich. Der Hang ist steil. Er ist bedeckt von einem Geröll aus Steinen, die vermutlich früher Teil der Burg waren; nur schwer findet man in ihm Halt.
Fast zwei Tage bemühen sich die Vier um die Dokumentation der Mauer – was wir damals noch nicht wissen. Es wird, 800 Jahre nach ihrem Bau, auch die letzte Gelegenheit dazu sein.
Zum Team gehören auch der Archäologe Shane Cavlovic, 32, aus dem amerikanischen Nebraska und Karl Linden, 23, aus Merseburg, der in Tübingen mit großem Elan Mittelarchäologie studiert. Sie wechseln einander ab, beim Vermessen wie beim Fotografieren.
Montag: Zwingermauer
Dienstag: Vorwerk
Mittwoch: Donjon
Donnerstag: östliche Zwingermauer am Burggraben.
Freitag: Nacharbeiten und Abbau.
Das ist der Plan. Eigentlich hatten sie gehofft, die Burg in einer Woche zur Gänze vermessen zu können, doch schon am ersten Tag müssen sie ihn aufgeben. Die Anlage erweist sich als zu groß, zu komplex im Detail – und das Gelände als kraftraubender als angenommen.
So werden sie nur ein Drittel der Fläche der Kernburg schaffen. Sie zerlegen das Bauwerk in Vermessungsgruppen. Sie sprühen farbige Linien auf den Boden. Kleine, rot gestrichene Pflöcke markieren die Bezugspunkte. Ist ein Bereich so abgegrenzt, betritt ihn Nikolas Reichert und weht das Laub weg. Frommer entnimmt dem Mauerwerk immer wieder Mörtelproben, die zu einem späteren Zeitpunkt unseres Projektes untersucht werden sollen. Die größte Überraschung der Forschungswoche: die Burg war größer als bisher angenommen. Ihre Besitzer hatten einst sehr viel komfortabler in ihr gelebt als bisher angenommen.
Es finden sich Hinweise auf mindestens zwei Bauphasen.
Der Archäologe Frommer sieht das so:
„Der Hauptturm der Burg, an deren höchsten Punkt gelegen, ist sehr wahrscheinlich auf viereckigem, leicht trapezförmigem Grundriss errichtet worden. Die erhaltenen Schalen der Südwest- und der Nordost-Mauer jedenfalls laufen nicht genau parallel. Obertägig überhaupt nicht erhalten, ist die Südost-Mauer des Turms.
Die rekonstruierten Maße des Turms betragen 14,25 mal 15,10 Meter (genau: 13,60 bis 16,50 Meter). Die am besten erhaltene Südwestmauer weist eine Mindestmauerstärke von 2,60 Meter auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die Mauern unterschiedliche Stärken aufwiesen.
3-D Modell Burgfried/© Sören Frommer
Der Turmgrundriss ist groß genug sowohl für einen Wohnturm als für einen Bergfried – seine erhebliche Mauerstärke spricht etwas mehr für eine Ansprache als Bergfried.
Im Hauptturm sind verbrannte Hohlziegel (ehemalige Dachabdeckungen) mitverbaut – ein starker Hinweis darauf, dass wir hier keinen Bau der ersten Bauphase vorliegen haben. Auch ein Teil der Steine im Turmschutt ist verbrannt – wobei in keinem Fall verbrannte Mauerschalen beobachtet werden konnten, weder im alten Mauerwerk noch bei verstürztem Mauerstücken. Auch hieraus wird man eher ein Argument für eine Ansprache als Bergfried ziehen. Das würde in die allgemeine Baugeschichte passen: Seit dem 12. Jahrhundert hat der Typus Ringmauerburg mit Bergfried und Palas die Wohnturmburg abgelöst. Es ist aber auch möglich, dass der Bergfried hier einen älteren Wohnturm ersetzt hat.“
Zwei Beobachtungen also. Es hat auf der Burg mindestens einmal gebrannt. Die Besitzer hatten die Geldmittel, die Burg wieder aufzubauen. Und damit nicht genug: Sie hatten sich finanziell nach dem Feuer sogar so sehr erholt, dass sie die Brandruine nicht im gleichen Maßstab wiederherstellen konnten, sondern sie waren sogar in der Lage, sie deutlich zu erweitern – größer, repräsentativer als zuvor. Phönix aus der Asche.
Sofort knüpfen sich Fragen daran: Was hatte diesen Brand ausgelöst? Ein Unglück, ein Überfall? Woher nahmen die Burgherren die Mittel? Hatten sie über eigene Mittel verfügt, oder hat sie jemand gesponsert, jemand, der Interesse daran hatte, dass es diese Burg an diesem Ort gab.
Dr. Frommer fährt mit seinem Bericht fort:
„Der zentrale Turm wird nach Westen, Süden und Osten in 5,4 bis 12,9 Metern Abstand von einer Umfassungsmauer umgeben, der Ringmauer. So bezeichnet man die (innere) Umfassungsmauer von Haupt- und Vorburgen – im Gegensatz zu den seit dem 13. Jahrhundert auftretenden, der Ringmauer in meist geringem Abstand vorgeschobenen, schwächeren Zwingermauern. Zwingermauern treten nach heutiger Erkenntnis auf Hohengenkingen nicht auf.
3D-Modell Ringmauer/© Sören Frommer
Die Mauer weist im untersuchten südlichen Teil uneinheitliche Stärken auf: Im Bereich der östlichen Ringmauer beträgt diese, soweit feststellbar, gleichmäßig 1,20 bis 1,25 Meter. Im Bereich der westlichen Ringmauer treten mit zirka ein Meter sowohl schmalere als auch mit mindestens 1,5 Metern breitere Abschnitte auf. Ganz offenbar ist sie angepasst am Verlauf der steilen Felswand, auf der sie errichtet wurde. Dort, wo die Ringmauer auf mehreren Metern Fels-Steilwand ruht, ist sie schmaler aufgesetzt. Dort, wo die Mauer allein den Hang sichern muss, ist ihre Stärke größer. Entsprechend weist die Mauer hier auch eine beträchtlich höhere Gesamthöhe auf. Insgesamt ist gut vorstellbar, dass der südliche Mauerverlauf im Wesentlichen auf ein- und dieselbe Bauzeit zurückgeht.
Das Abbiegen der (süd)östlichen Ringmauer Richtung Berggrat könnte darauf hinweisen, dass sie konzeptionell zu einer älteren Burgenphase gehört, die sich auf einen Wohnturm als einziges Hauptgebäude bezieht. Vor diesem Hintergrund würde man den südöstlichen und den nordöstlichen Burggraben eher zwei verschiedenen Burgenphasen zuordnen: den südöstlichen zur kleineren Wohnturmburg, den nordöstlichen zur um die nordöstliche Vorburg erweiterten Ringmauerburg. Die Frage, ob der südliche Graben ursprünglich gegen den Berggrat rundgeschlossen haben könnte, wird sich archäologisch klären lassen.
Auffällig ist die geringe Stärke der Ringmauer, für die man in der Blütezeit des mittelalterlichen Burgenbaus eher mit 1,5 bis 2,5 Metern gerechnet hätte. Letztlich passt eine solche Konzeption eher zur älteren Wohnturmburg des 11./12. Jahrhunderts – eine Zeitstellung, die (bislang) für den Hohengenkingen jedoch nicht belegt ist.
In die südliche Ringmauer ist, zur offenkundigen „Feindseite“ hin, ein vorspringender Mauerturm integriert.
3D-Modell Mauerturm/© Sören Frommer
Stratigrafische Beobachtungen (Untersuchungen der Sedimentsschichten und ihre zeitliche Zuordnung) konnten nicht vorgenommen werden, dürften aber – auf der Ostseite – archäologisch möglich sein. Es handelt sich um einen nach Norden offenen kleinen Schalenturm mit 4,80 Meter Breite, dessen Sinn im Flankieren/Bestreichen des dem Tor unmittelbar vorgelagerten Bereichs bestanden haben muss, welcher durch die Ringmauer im toten Winkel des Bergfrieds/Wohnturms lag. Der Mauerturm hatte kein ziegelgedecktes Dach. Vermutlich sollte man sich stattdessen eine offene Zinnenbewehrung vorstellen.“
Eine weitere neue Erkenntnis der Forschungswoche: die Existenz eines Schalenturms, auch Hohlturm genannt. Sie waren auf der Rückseite offen, damit der Feind, wenn er ihn einmal erobert hatte, in ihnen keine Deckung finden konnte. In der Regel überragten sie die Befestigungsmauer um ein Stockwerk. Die meisten Stadtbefestigungstürme dieser Zeit waren Schalentürme. Oft waren in ihnen auch die Aufgänge für die Wehrgänge eingebaut, etwa ausziehbare Leitern. Die offene Seite war häufig mit Holzverschalungen oder leichten Fachwerkwänden geschlossen.
„Noch heute lässt die Verebnung westlich des Schalenturms die ehemalige Torsituation erahnen. Der ehemalige Hauptweg in die Burg führte westlich am Bergfried/Wohnturm vorbei. Während an der Verbreiterung unmittelbar hinter dem Tor auch zwei Wagen aneinander vorbeigekommen wären, passierte dieser weg ganz im Westen zwischen der heute hier noch steil aufragenden Ringmauer und einer SO-NW-verlaufenden Felsrippe eine Engstelle von nur etwa 2,10 Metern Breite.
Der Brand auf der Hohengenkingen markierte wohl nicht das Ende der Burgennutzung, sondern vielmehr einen Bruch zwischen zwei (Haupt?)-Bauphasen der Anlage. Nach Nutzungsende im späteren 14. Jahrhundert dürfte die Burg noch einige Zeit in recht gutem Zustand überdauert haben. Wichtige Beobachtungen stammen aus dem Bergfried: Hier liegt auf dem allgemeinen Verfüllschutt ein intaktes Mauerstück, in zirka zwei Meter Entfernung zur Nordwest- bzw. Nordostmauer. Es muss aus beträchtlicher Höhe herabgefallen sein, um diesen Platz einnehmen zu können. Dies kann durch Einsturz der Mauer oder durch Abbrucharbeiten geschehen sein.
Dass die Südostmauer des Turmes des kaum unter 20 Meter hohen Turms komplett fehlt, ohne dass ihr Schutt in erkennbarer Weise die Sedimentfalle (eine Vertiefung in der Landschaft, in der sich Schutt etc. ablagert) ausfüllen würde, über die heute der Wanderweg verläuft, dürfte nur durch intensive Steinbruch-Nutzung der Ruine zu erklären sein. Die Südostmauer war sicherlich über die gesamte Ruinenzeit die am leichtesten zugängliche Seite. Der Kontrast zu den weiten Schuttfeldern, die westlich und nördlich an die Burg anschließen, ist beträchtlich. Vermutlich wird sich archäologisch klären lassen können, zu welcher Zeit der Abbau der Burg besonders intensiv betrieben wurde.“
Hier endet der Bericht, denn hier endete die Forschungswoche. Jeder Bereich der Burg, der während dieser Zeit vermessen wurde, wurde auch aufwendig fotografisch dokumentiert. Zum großen Glück, wie sich später in diesem Jahr noch zeigen sollte. In bis zu tausend Einzelfotografien hielten die Forscher dabei die Bauwerke fest. Jedes Fotos, immer senkrecht zum Objekt aufgenommen, überlappt sich dabei mit dem Nachbarbild um ein Drittel. Sie lädt er im Büro auf eine spezielle Software und kann so feinaufgelöste 3-D-Modelle der einzelnen Burgteile schaffen – fast so detailreich wie die Wirklichkeit.
Erst ein Drittel der bisher bekannten Fläche der Anlage ist auf diese Weise kartiert und mit Vermessungspflöcken gespickt. Frommer, Reichert, Cavlovic und Linden hinterlassen auf der Erde der vorderen Burg ein Netzwerk aus neonfarbenen Spraydosen-Linien. Der weitaus größere Teil bleibt vorläufig noch unter Laub verborgen.
Die Gemeinde Sonnenbühl hat die Forschungswoche unterstützt und die Kreissparkasse Reutlingen. Wir sagen Danke! Doch sind wir angewiesen auf weitere Geldgeber.
Der Nuppenbecher
© Yvonne Mühleis, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
Eine ganz besondere Scherbe. Eine Glasscherbe.
Am letzten Tag der Forschungswoche sieht Karl Linden, 23, Student der Mittelalterarchäologie (er forscht derzeit zum Thema Eulenkopf-Fayencen aus Augsburg forscht, absonderliche Trinkgefässe aus Keramik) einen Fingernagel großen, hauchdünnen Glassplitter vor sich liegen. Er bückt sich. Sie hat eine seltsame Form. Fast sieht sie aus wie eine gläserne Warze. Eine kleine Erhebung, aus der fast dünn wie ein Faden das Glas zieht.
Ein kleiner Splitter, der aber ganz neue Einblicke in das mittelalterliche Burgleben erlaubt.
Karl Linden schreibt darüber:
„Sie ist so hellblau und transparent, dass ich sie erst für ein Stück Plastik gehalten habe. Die Scherbe habe ich beim Vermessen zufällig auf einem Maulwurfshaufen gefunden. Shane und ich waren gerade dabei, das Messnetz in der südöstlichen Vorburg einzurichten. Ich habe einen Standort für den Tachymeter gesucht, da sah ich sie. Wie ein Fremdkörper stach sie aus dem Dunkelbraun des Waldbodens hervor. Ich habe das leuchtend blaue Ding aufgehoben, um es wegzuschmeißen. Doch als meine Finger die glatte Oberfläche berührten und sich die scharfen Kanten und der komische Knubbel gar nicht wie Plastik an fühlten, habe ich mir das doch noch einmal näher angesehen.
Ich hielt Glas in meiner Hand, ganz dünnes. Die Wandstärke ist nicht dicker als zwei Millimetern. Vor hunderten Jahren hat eine geschickte Hand einen Tropfen flüssiges Glas geformt und ihn mit einem feinen Werkzeug gezogen hatte, um die Nuppe zu formen.
Nuppen wie diese sind ein ganz typisches Zierelement von mittelalterlichen Glaswaren, doch die Technik ist noch viel älter. Auch in der Antike wird Glas schon mit Nuppen verziert. Eine Theorie besagt, dass sie nicht nur der Zier dienten, sondern einem praktischen Nutzen dienten. Sie sollten auch verhindern, dass die Becher einem nicht aus der Hand glitten, hat man doch damals nicht mit Besteck, sondern mit den Fingern gesessen.
Nuppenbecher kommen ab dem 10. Jahrhundert aus dem Mittelmeerraum über die Alpen. Diese Gläser sind in der Regel farblos und stammen aus dem Gebiet der Levante, also dem heutigen Libanon und Israel.
Unsere Scherbe ist durchsichtig und hellblau. Vermutlich kommt das vom verwendeten „Flussmittel“. Glas wurde meistens aus Quarzsand hergestellt. Schon früh hat man herausgefunden, dass man es leichter zum Schmelzen bringen kann, wenn Pottasche oder Kalium oder Natrium zufügt.
Nördlich der Alpen sind grüne, sogenannte Waldgläser üblich. Bei ihnen hat man als Flussmittel kaliumreiche Buchen- oder Farnpflanzen-Asche beigemischt. Wenn sich das Glas blau färbt, ist das ein Indiz dafür, dass die Glasbläser natriumreiche Flussmitteln verwandt haben.
Karl Linden
Um herauszufinden, aus was unsere Glasscherbe gemacht ist, müssten erst archäometrische, also chemische Analysen gemacht werden, denn Glas kann auch anders gefärbt werden.
Die Farbe Hellblaugrün unserer Scherbe ist, neben der spitzen Nuppe selbst, ein Hauptmerkmal für Nuppenbecher des Schaffhauser Typs. Seit dem 13. Jh. sind Nuppenbecher des Schaffhauser Typs bekannt. Sie werden bis ins 15. Jahrhundert weiter verwendet. Aus dem Schaffhauser Typ entwickelt sich zu Beginn des 15. Jahrhundert der „Krautstrunk“. Dieser Typ wird auch zeitgenössisch so genannt, weil die Form stark an den Strunk von Kohlgewächsen erinnert. Der Krautstrunk unterscheidet sich sehr vom Schaffhauser Typ und ist trotzdem klar mit ihm verwandt. Seine Nuppen sind großflächiger und flacher. Ab Mitte des 15. Jahrhundert ist er der vorherrschende Nuppenbecher Typ. Warum können wir nicht sagen, vermutlich hatte einfach die Mode gewechselt.
Die Nuppe ist also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Fragment eines Nuppenbecher vom Schaffhauser Typ. Sie zeigt an, dass es auf unserer Burg einen gewissen Wohlstand gegeben hat. Zur ihrer Blütezeit lebten hier Leute, die sich durchaus einen gewissen Luxus hatten leisten können.“
Die Scherbe, die sonst schnell rissig geworden wäre, wurde dem Landesdenkmal übergeben, wo sie in der Werkstatt der Restaurateure mit chemischen Zusätzen behandelt wurde, um sie haltbar zu machen.
Bildergalerie: © Thomas Bernhardt
Literatur:
Sedlackova, Hedvika. “Medieval Glass: Learnings Since Phönix Aus Sand Und Asche.” Journal of Glass Studies, vol. 63, 2021, pp. 77–108.
Kurt Bänteli, Rudolf Gamper, Peter Lehmann: Das Kloster Allerheiligen in Schaffhausen, Schaffhauser Archäologie 4. Schaffhausen 1999. S.: 188-193
Christine Prohaska-Gross, Uwe Gross: „Heimliche “Kostbarkeiten. Prachtvolle Glasfunde aus Ulmer Latrinen. Denkmalpflege in Baden-Württemberg–Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege, 36, 2007. S.: 181-187
Thomas Reitmaier: “Hohl- Und Flachglasfunde Aus Mittelalterlichen Burgengrabungen in Tirol Und Oberkärnten 2003.” Biträge Zur Mittelalterarchäologie in Österreich, 2003.
Baumgartner, Erwin., and Ingeborg. Krueger. Phönix aus Sand und Asche : Glas des Mittelalters. Historisches Museum Basel, 1988.
Link:Nuppenbecher des Schaffhauser Typs
Geophysikalische Untersuchung – Strahlen statt Spaten
© Thomas Bernhardt
Wer an unsere Burg denkt, wir sind da bescheiden, wird nicht sofort an Troja denken. Troja: die Stadt antiker Sagen, der Ort der Ilias und der Odyssee. Eine der Geburtsstätten der Archäologie. Stichwort: Heinrich Schliemann. Doch gibt es eine Gemeinsamkeit. Unter dem Boden sind Mauern verborgen. Deshalb sind im März Dr. Natalie Pickartz und ihr Assistent Paul Eggert auf den Hohengenkingen gestiegen. Sie kamen aus Ludwigsburg und brachten schweres Gerät mit sich. Einen Geo-Magnetometer. Eine Technologie, die in den Sechziger Jahren entwickelt wurde und seit den Achtzigern Einzug auch in die Archäologie hielt. Ihren Durchbruch erzielte sie in Troja, wo mit ihrer Hilfe große Teile der antiken Stadt entdeckt wurden. Pickartz, die in Kiel studierte, ist die einzige Geophysikerin des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg. Sie hat viel zu tun. Eine Frau, ein Bundesland. Ihr Auftragsbuch ist voll, da überall heftigst gebaut wird. Und oft wird zur Vorsondierung von Bauflächen die Geophysik bestellt.
Zwei Flächen eignen sich auf der Burg für eine Untersuchung mit dem Geo-Magnetometer. Das Areal der hinteren Vorburg, eine flache Ebene zwischen Burggraben und Kernburg. Außerdem die Fläche der oberen Terrasse, auf der, so wie Dr. Frommer mittlerweile vermutet, einst der Palas des Adelsfamilie gestanden hat. Pickartz hängt sich mit Hilfe ihres Kollegen die Gurte des ausladenden Meßgeräts an. Mit weißen Plastikbändern haben sie zuvor das Untersuchungsgebiet abgegrenzt. Kernstück des Messgeräts sind drei schwarze Röhren, die Gradiometer. Sie messen Anomalien im Erdmagnetfeld.
Im besten Fall kann man so erkennen, wo der Untergrund gestört ist. Manchmal lassen die Kurvenausschläge der Sonden unterirdische Mauerzüge erkennen oder die Eintiefung von eingeebneter Gräben und Gruben sowie die Spuren von Metallverarbeitung. In Troja hat es geklappt. Bei unserer Burg sind die ersten Messungen nicht eindeutig. Im Winter soll ein zweiter Versuch gestartet werden, an anderer Stelle der Burganlage. Dazu aber an späterer Stelle.
Bildergalerie: © Thomas Bernhardt
Winter 2021/2022
Der Plan
Die Basis für jeden Plan ist – ein Plan. Den gab es bislang für unsere Burg nicht, zumindest keine genauen, weder für den Berg, auf dem sie gebaut ist, noch für die Ruine.
Unser Projekt ist im Winter 2021 formell noch gar nicht gegründet, da beginnt es mit einem großen Aufschlag:
Drei Monate lang, zwischen November und Januar 2021/22, nahm sich eine Studiengruppe der Hochschule Biberach dem Hohengenkingen an. 70 Studentinnen und Studenten erstiegen an mehreren Terminen unter Anleitung des Vermessungskundlers Professor Dr.-Ing. Hans Quasnitza den Berg, um seinen Gipfel, Sitz der Burg, mit Hilfe unterschiedlicher Methoden zu vermessen. Ihr Plan wird Grundlage für alle weiteren Forschungsarbeiten sein.
Sie trugen Laserscanner und Tachymeter mit sich, optische Messgeräte. Professor Quasnitza hatte zuvor das Gelände mit der Ruine für die Studierenden in einzelne Abmessungsbereiche, 70 mal 70 Meter, eingeteilt. Rot-weiß gestrichene Pföstchen, die er in den Waldboden geschlagen hat, Nägel, der er in den Felsen trieb, markieren sie. In Vierer-Gruppen messen die Studierenden Abschnitt für Abschnitt die Oberfläche ein.
Sie vermessen das Gelände mit zwei unterschiedlichen Messverfahren. Das eine ist das tachymetrische Messverfahren, das zweite das terrestrische 3D-Laserscanning. Eine Messung per satellitengestützte GPS/GNSS funktioniert hier nicht, da der Burgberg stark bewaldet ist. Zu viel Bäume blockieren die Signale.
Beim tachymetrischen Verfahren maß das Projektteam einzelne Punkte des Areals und der Höhenlage der Mauerreste ein, um einen Geländeplan zu erstellen. Immer geht es dabei um drei Lagekoordinaten. Die jeweilige Position in Ostwest-Richtung, die in Nordsüd-Ausrichtung sowie die Höhe über dem Meeresspiegel. Dabei nutzte Professor Quasnitza ein globales Koordinatensystem, das die gesamte Erdoberfläche (mit Ausnahme der Polkappen) in 6° breite vertikale Zonen aufteilt, UTM ist sein Kürzel: „Universal Transverse Mercator“.
Der erste Schritt: Ein Student stellt den Tachymeter mit seinem Dreifuß dort auf, wo er eine möglichst große Fläche gut einsehen kann: Das ist auf dem Hohengenkingen nicht einfach, oft mühte sich die Gruppe aus Biberach durch dichten Bewuchs. Oft waren sie gezwungen, den Tachymeter pro Abschnitt drei-, viermal anzusetzen.
Der zweite Schritt: Ein anderer Student läuft dabei mit einem Reflektor-Stab voraus. Er setzt ihn auf die Punkte, die eingemessen werden sollen. Der Reflektorstab birgt ein Prisma, eine Art Spiegel. Bei der Messung entsendet der Tachymeter auf Knopfdruck ein kurzes Lichtsignal, eine elektromagnetische Welle, zum Reflektor, der es dann wieder zum Tachymeter zurückwirft. Über die gemessene Laufzeit und die bekannte, immer gleichschnelle Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen (300 000 Kilometer pro Sekunde) kann der Tachymeter die Distanz errechnen. Auf diese Weise schafften sie am Hohengenkingen täglich pro Gruppe an die hundert Messpunkte.
Der Laserscanner misst sehr viel detaillierter. Der Nachteil dieser Methode: Der Scanner kann nicht zwischen Bewuchs und echter Oberfläche unterscheiden. Erst seit Mitte der Neunziger Jahren gibt es diese Technik auf dem Markt. Der Laserscanner tastet das auf dem Hohengenkingen teilweise sehr steile Gelände ab, misst alle 5 Zentimeter, misst millimetergenau, misst pro Sekunde eine Million Punkte, und erstellt aus den vielen Messdaten eine Punktwolke, in der das Gelände rechnerisch wieder seine Form erhält.
Das Ergebnis der Arbeit der Hochschule Biberach ist unter anderem ein beeindruckendes 3D-Modell, das so plastisch wirkt, als hätte man die Bergkuppe mit der Ruine in eine Gussform gegossen. Für die Forschung ist das Modell ein großartiges Werkzeug. Der Laserscan hat das Gelände derart detailliert abgebildet, das je nach archäologischer Fragestellung beliebige Schnitte durch die Gesamtanlage erzeugt werden können.
Die Vermessung des Hohengenkingen, die auf freiem Markt knapp 10 000 Euro gekostet hätte, diente dem Seminar der Hochschule Biberach als Abschlussübung und wurde vermittelt vom Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, das die Anfahrtskosten der Studierenden übernahm.
April 2021
Der Rätselstein – eine erste C14-Messung.
Bei einer der ersten Begehungen mit dem Referenten des Landesdenkmalamts, Dr. Mathias Hensch, heute Kreis- und Stadtarchäologe in Uelzen, im April 2021, fiel ein frisch aus der Mauer des Donjon herausgebrochener Mörtelbrocken auf. Das Besondere an ihm: ein Stück Holz, das in ihm die Jahrhunderte überdauert hatte. Das Holz gelangte vermutlich beim Anrühren in den Mörtel. Das Holz ist verkohlt, also Holzkohle. Auch der Mörtel weist Brandspuren auf. „An diesem Stück könnten wir eine C14-Altersbestimmung versuchen“, schlug Dr. Hensch vor. Er schickte das Stück Mörtel, zirka 20 Zentimeter groß, an das Ceza-Institut, das „Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie“ in Mannheim.
Für die Entwicklung der C14-Methode hatte der Amerikaner Willard Libby 1960 den Nobelpreis für Chemie bekommen.
Alle Organismen nehmen, solange sie leben, Kohlenstoff auf. Kohlenstoff gibt es in drei Varianten, als drei unterschiedliche Isotope, die über eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen verfügen: C12, C13 und C14, wobei C für Kohlenstoff steht und die Zahl für die gesamte Anzahl von Protonen und Neutronen. Stirbt ein Lebewesen, nimmt es ab diesem Zeitpunkt kein C14 mehr auf. C14 zerfällt ab jetzt. C12 allerdings bleibt unverändert erhalten. Aus dem Verhältnis von C12 und C14 lässt sich nun das Alter des Fundes bestimmen. Beträgt etwa der Anteil an C14 nur noch 50 % des heutigen Anteils, so kann man folgern: Seit Beendigung der Kohlenstoffaufnahme ist seine Halbwertszeit vergangen, also 5 730 Jahre.
Allerdings darf der Fund nicht älter als 50 000 Jahre sein. Denn dann ist die Menge an C14 einfach zu klein, um sie noch bestimmen zu können.
Je älter ein Objekt ist, desto weniger präzise lässt sich das Alter durch C14 bestimmen. Man kann mit dieser und anderen Methoden radioaktiver Altersbestimmung nie das Alter nie exakt ermitteln, sondern immer nur ungefähr.
Doch das Messergebnis des Mannheimer Labors ist mit jenen Messungenauigkeiten nicht zu verstehen. Das Holzstück im Mörtel vom Hohengenkingen stammt – der Messung zufolge – aus dem dritten Jahrhundert bzw. frühen vierten Jahrhundert. Also aus der Spätantike, einer Zeit, als sich gerade die Römer aus diesen Teil Baden-Württembergs zurückgezogen hatten. Sind die Anfänge der Burg also rund tausend Jahre älter als gedacht? Bislang gibt es keinerlei weitere Hinweise dafür.
Zunächst ging man deswegen beim Landesdenkamt von einem Messfehler aus, was, nach neuerlicher Prüfung der Daten, das Labor jedoch bestritt. Solange keine weiteren Funde aus der Spätantike geborgen werden können, sei der Altersbefund, so Hensch vom Landesdenkmalamt, „archäologisch nicht erklärbar“.
Wir tauften den Mörtelbrocken:
„den Rätselstein.“